„Korsakow Syndrom“ – eine Herausforderung für die Betreuung

mmer mehr Bewohner der Sozialtherapeutischen Wohnstätte für chronisch mehrfachgeschädigte Abhängigkeitskranke des “come back” e.V. Zittau werden mit alkoholbedingten Gedächtnisstörungen aufgenommen. Diesem Phänomen begegnet die Einrichtung mit einem gezielten Förder- und Therapieprogramm. Eine schwierige, aber auch interessante und herausfordernde Aufgabe. Frau Dipl.-Med. Irmgard Ufer erklärt im Folgenden die komplexe Problematik des „Alkoholbedingten Amnestischen Syndroms“:

 

Schwere Störungen der Merkfähigkeit (neue Gedächtnisinhalte werden nicht behalten) verbunden mit schwerer zeitlicher und örtlicher Orientierungsstörung – das sind wesentliche Beeinträchtigungen, an denen ein chronisch Alkoholkranker Mensch mit einem Amnestischen Syndrom leidet. Dagegen ist sein Langzeitgedächtnis größtenteils erhalten, die Intelligenz und das verbale Verständnis krankheitsbedingt kaum beeinträchtigt. Diese bei Alkoholkranken auftretende Störung ist sehr spezifisch und hat mit Demenz nichts zu tun, ist auch mit Amnesien (Gedächtnisverlust) anderer Ursachen nicht identisch. Der russische Nervenarzt Sergej S. Korsakow hat diese wesentlichen Merkmale der später nach ihm benannten Krankheit bereits 1891 beschrieben! Heute wird sie als Alkoholbedingtes Amnestisches Syndrom bezeichnet.

 Thesen

Chronisch Mehrfachgeschädigte Alkoholkranke mit Amnestischem Syndrom haben eine Chance:

  1.  wenn sie Wertschätzung und Sicherheit erfahren
  2.  wenn sie entsprechend ihrer Beeinträchtigung angemessene Strukturen, Rahmenbedingungen sowie passende Lebensräume für ihre Förderung zur Verfügung haben
  3. wenn ihre Bezugspersonen ihre kognitiven Störungen akzeptieren, verstehen und danach handeln
  4. wenn sie ausreichend körperliche und psychosoziale Ressourcen wiedergewinnen können
  5. wenn sie gezielte kognitive Förderung erhalten
  6. wenn sie Merk- und Orientierungshilfen gebrauchen und nutzen können (Kalender, Wochenpläne etc.)
  7. wenn sie selbst und alle an ihrer Betreuung Beteiligten „an einem Strang ziehen“

Ursache dieses Syndroms ist eine akute Stoffwechselstörung meist in Verbindung mit einem Entzugs-Delir. Der dabei auftretende Thiaminmangel (Vitamin B1) bewirkt eine Schädigung der Gehirnsubstanz im Zwischenhirn, die eine schwere Gedächtnisstörung zur Folge hat (im sog. anterograden deklarativen Gedächtnis). Akut unbehandelt – und das ist leider häufig der Fall – ist diese Störung im chronischen Stadium nicht mehr heilbar. Die Förderung in unserer Einrichtung setzt deshalb vor allem bei den Kompensationsmöglichkeiten an, d.h. Mobilisation der persönlichen Ressourcen. Eine wesentliche Chance ist für den Betroffenen sein erhalten gebliebenes unbewusstes Gedächtnis (sog. implizites oder prozedurales Gedächtnis). Mit diesem hat der Betroffene die Möglichkeit, neue Fähig- und Fertigkeiten sowie Handlungsabläufe zu erlernen (Lernen durch Konditionierung). Das bedeutet, auch er kann lernen persönliche Merk- und Orientierungshilfen zu nutzen. Das ist für seine Alltagsbewältigung immens wichtig! Unseres Erachtens nach hat ein Alkoholkranker, der von einem mittelschweren Amnestischen Syndrom betroffen ist, unter bestimmten Bedingungen (siehe Kasten „Thesen“) berechtigte Hoffnung, seine alltagspraktische Kompetenz so zu verbessern, dass er zukünftig eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung besuchen und die Anforderungen eines Ambulant Betreuten Wohnens (mit angemessenen externen Hilfen) bewältigen kann.

Irmgard Ufer (Dipl.-Med.)